17. Mai 2015
Christsein, glauben an Jesus Christus, ist nicht an erster Stelle eine Frage von Glaubenswahrheiten und Dogmen annehmen. Es ist an erster Stelle eine Beziehungsfrage: In Beziehung mit Jesus und durch ihn mit Gott leben. Darüber redet Jesus sehr ausdrücklich im Johannesevangelium, wie wir an den letzten Sonntagen und auch heute gehört haben. Beziehungen greifen tief in unser Leben ein, sie lassen tiefe Spuren in unserem Inneren zurück, sie verwandeln uns.
„Vater, erhalte sie (und hier meint er uns) in der Gemeinschaft mit dir“, bittet Jesus Gott, seinen Vater. Es ist sein sehnlichster Wunsch, dass wir verbunden mit Gott leben - so wie er es selbst tut. Wie geht das? Man kann das vergleichen mit einer Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen: Man ist mitten im Denken und Fühlen des anderen anwesend, auch wenn er physisch abwesend ist. So ist Gott in mir und ich in ihm.
Ein Folge ist, dass wir dann zwar mitten in dieser Welt leben, aber nicht von dieser Welt sind. Wir gehen nicht ganz in dieser Welt auf. Sie ist begrenzt wichtig, nicht das Allerwichtigste. Es gibt noch anderes, Tieferes. Wir sind deswegen nicht weltfremd, wir scheuen die Auseinandersetzung mit unserer Welt nicht, aber wir bleiben offen für eine andere Wirklichkeit, die wir Gott nennen, in dem wir unseren tiefsten Halt finden.
Es gibt weitere Konsequenzen, wenn wir mit Gott und mit Jesus verbunden bleiben. Der Evangelist Johannes spricht immer vom Gott, der Liebe ist. Und diese Liebe und diese Sorge um uns hat Gott so gezeigt, dass er Jesus in die Welt gesandt hat, um uns seine Liebe spürbar zu machen. Deswegen ist die Konsequenz aus diesem Tun Gottes für die Menschen: „Wenn Gott uns so sehr geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.“ Tun, wie er. Die zuvorkommende Liebe Gottes zu den Menschen ist der Grund unserer Liebe zueinander. Kein Mensch kann Gott schauen. Er lässt sich nur erkennen durch die Liebe, die Menschen - die verbunden mit ihm und mit Jesus leben - einander erweisen. Für Johannes ist diese Liebe das Erkennungszeichen der Christen. Und diese (Nächsten)Liebe braucht, um im Alltag gelebt werden zu können, ein starkes Fundament: den Glauben an Gott und an Jesus.
Diese Nächstenliebe darf aber nicht verniedlicht werden zu einem „Seid-nett-zueinander“, das dann aufhört, wenn es schwierig zu werden beginnt. Christliche Nächstenliebe ist etwas Außergewöhnliches, das gar nicht selbstverständlich ist im Alltag der Menschen, und schon gar nicht im Leben unserer Welt und der Völker.
Fast alle Menschen sind für die Nächstenliebe. In Wirklichkeit aber stoßen wir alle mit unserer Nächstenliebe im Alltag auf große Schwierigkeiten. Das merken wir in allen Bereichen: in Ehe, Familie, Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in der Pfarre, im Zusammenleben der politischen Gruppen und der Völker. Wir merken oft gar nicht, wie wir einander Leid zufügen, uns gegenseitig das Leben erschweren oder im Stich lassen, einander also nicht lieben. Als Christen haben wir die Aufgabe, diese Überzeugung von der Liebenswürdigkeit aller Menschen selbst zu vertreten und zu verbreiten. Sie sind es, weil Gott sie liebt.
Diese christliche Nächstenliebe hat zwei besondere Merkmale. Erstens ist sie eine Liebe, die zuerst liebt. Es geht nicht darum, Menschen nur deswegen zu lieben, weil sie gut und liebenswürdig sind, sondern damit sie gut und liebenswürdig werden. Das hat Jesus deutlich vorgelebt.
Und das zweite Merkmal christlicher Liebe: sie schließt niemanden aus. So wie Gott seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte, so soll auch der Christ niemanden ausschließen aus seiner Liebe, selbst nicht den Feind. Das ist eine sehr hohe Forderung. Es kann Zeiten geben, in denen wir uns dadurch überfordert fühlen. Das geht ja nur, wenn wir wirklich in einer intensive Beziehung zu Gott und zu Jesus leben.
Wir müssen also an uns arbeiten, damit der tief in uns verwurzelte Hang zum Egoismus, der in jedem Menschen steckt, in Grenzen und Schranken bleibt. Wir müssen den Weg mit Jesus gehen: Wie er täglich neu auf Gott hören und danach leben.
Wir leben inmitten einer Welt, die anders denkt. Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt. Wir leben aus dem Glauben an Jesus Christus. Als Christen haben wir persönlich versprochen, ihm nachzufolgen.